Sonntag, 5. April 2009
Milord ist zuhause
Freitag
Heute begann der Tag gleich mit dem vollen Programm. Nach dem Füttern kamen alle Pferde bis auf Milord auf die Koppel. Dakota und Queensberry teilten sich die Koppel mit den Nachbarspferden und die Mutter-Fohlengruppe versteht sich super. Milord habe ich am Halfter eine Weile grasen lassen, damit er nicht eingesperrt bleiben muss. Bei ihm bin ich momentan etwas ratlos. Er ist körperlich topfit und könnte längst geritten werden, aber sein Auge ist halt noch eingebunden. Nach aktuellen Schätzungen des Tierarztes besteht nur eine Viertel-Chance, dass er jemals wieder sehen kann auf dem rechten Auge. Das ist wirklich jammerschade, weil ich keinerlei Idee habe, wie weit man ein blindes Pferd reiten kann. Milord ist eigentlich ja ein gutes Springpferd und eine halbe Blindheit würde ihn natürlich sehr stark einschränken… Aber mal abgesehen davon ist es für mich sehr schwer einzuschätzen, ob ich schon reiten soll, oder nicht. In der Box scheint er fast zu verblöden, sodass mein Vater heute noch zweimal mit ihm auf dem Hof spazieren gegangen ist. Irgendwie habe ich Respekt davor, ein halbblindes Pferd einfach so zu reiten, aber andererseits muss man ja auch mal damit anfangen, falls Milord für immer blind bleibt. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich ihn erst longieren soll oder gleich in den Sattel steigen soll. In der Halle ist meistens sehr viel los, da könnte er sich erschrecken wenn plötzlich ein anderes Pferd in seinen Blickwinkel tritt. Auf dem Platz wären wir halt draußen, aber dafür ist dort nie jemand. Naja ich werde es mir überlegen müssen, denn so kann es ja nicht weitergehen.
Da das Wetter heute si schön war, habe ich alle Pferde draußen geritten, einschließlich Alizee. Es war heute ihr erster Tag draußen und ich hatte wahrscheinlich mehr Angst als sie bei dem ganzen Unterfangen. Normalerweise habe ich nie Angst vor einem Pferd, schließlich ist es ja mein Beruf, junge Pferde anzureiten. Aber Alizee ist ein so unberechenbares Pulverfass, dass man nie weiß, was sie in der nächsten Sekunde macht. Es kann alles um sie herum mucksmäuschenstill sein, da macht sie plötzlich einen Satz. Zur Sicherheit habe ich sie erst lange ablongiert direkt auf dem Platz, da waren wir gestern schon. Das Longieren lief ganz gut für ihre Verhältnisse. Sie war zwar sehr guckig, aber ich habe sehr viel mit ihr gesprochen. Sie reagiert zum Glück gut auf meine Stimme und lässt sich dadurch manchmal vom Ausrasten abhalten. Zum Glück war mein Kollege Stephane auch da, denn alleine mache ich solche Versuche nur ungerne. Wenn was passieren würde, hat man keinen der einem hilft.
Stephane bot an, sich zuerst auf Alizee zu setzen, aber ich wollte mir nicht mehr Angst machen, als ich tatsächlich hatte, deshalb entschied ich, es selber zu tun. Stephane führte mich erst einige Runden, bis Alizee merkte, dass sie auch hier draußen niemand auffressen wollte. Danach ließ sie sich gut antraben und arbeitet gut mit. Als eine Gruppe Radfahrer vorbeifuhr, machte sie einen Satz zur Seite und schnaufte ganz laut, aber ich trabte schnell wieder an und ritt einige Volten, sodass sie sich darauf konzentrieren musste. Die Radfahrer zogen gemütlich vorbei. Alizee schwitzte ganz schön vor lauter Aufregung, aber ich glaube dass ihr die frische Luft guttut. Ich werde jetzt so oft wie möglich mit ihr draußen reiten, die ersten paar Male hoffentlich noch mit Stephanes Hilfe.
Ich war nach dem Ritt irgendwie selber total nervös und habe deshalb mit Hyazinth weitergemacht. Er ist ja bekanntlich die Ruhe selbst. Mit ihm könnte man durch ein Rockkonzert reiten, er würde keine Miene verziehen. Gestern habe ich mit ihm richtig viel Dressurtraining gemacht. Heute wurde zwar auch trainiert, aber im Gelände. Ich habe viele Tempounterschiede und Galopp im Allgemeinen trainiert. Das kann man mit ihm wunderbar machen auf den vielen endlosen Wegen hier. Dieses Pferd war die Entspannung pur und ich war froh, ins Gelände gegangen zu sein.
Als ich zuhause ankam, rief mich gerade die Besitzerin von Ladina an. Ladina ist eine alte, ehemalige Galopperstute, die auf einem nahegelegenen Hof als Unterrichts- und Pflegepferd steht. Ich reite sie seit einiger Zeit einmal in der Woche im Dressurunterricht. Leider geht es ihr in letzter Zeit nicht so gut; sie ist ja auch schon ziemlich alt. Die Besitzer haben nun beschlossen, sie auf eine Rentnerkoppel zu stellen. Sie haben auch schon eine gefunden und zwar direkt bei unserem Nachbarn! Dort stehen auch die Fohlen, mit denen Queensberry aufwachsen wird. Das hat mich sehr gefreut, dann sehe ich Ladina nun sehr viel öfter.
Ditlena war das nächste Pferd. Ich baute ein paar Gymnastikreihen draußen auf, die ich mit ihr mehrmals übte. Ditlena macht sowas total gerne und mir hat es auch sehr viel Spaß gemacht bei dem tollen Wetter. Am Sonntag startet sie in einer Springprüfung der Klasse L, da habe ich große Erwartungen. Wenn sie auch nur halb so gut springt wie heute, dann ist eine Schleife garantiert.
Nach Ditlena war Cayenne an der Reihe. Sie durfte genau das gleiche Training machen wie Ditlena, aber nicht so lange. Cayenne ist ja erst vier Jahre alt, deshalb habe ich davor erst ein bisschen Dressur und Lockerungsübungen gemacht, bevor es dann an die Sprünge ging. Cayenne hat heute auch etwas länger gebraucht, um sich aufzuwärmen, weil sie gestern nur auf der Koppel gewesen war. In der Dressur lief sie aber sehr gut, ihr Galopp wird immer besser (mehr bergauf) und sie geht schön an den Zügel heran. Wenn sie in der Dressur gut galoppiert, zahlt sich das auch fürs Springen aus und so war es auch. Cayenne hat ein supergutes, aber kurzes Springtraining abgeliefert heute und ich war wirklich begeistert. Im Verhältnis zu anderen Pferden ist sie für ihr Alter wirklich sehr weit, ich bin überzeugt, dass sie mal ein tolles Pferd wird.
Pamina Blue ist nun wieder voll im Geschäft. Sie hat sich gut von ihrer Zerrung erholt und läuft seit dieser Woche wieder normal im Training. Dressur stand heute auf dem Programm. Sie soll in diesem Sommer einige Dressurpferdeprüfungen der Klasse A gehen und das haben wir heute auch geübt. Sie darf noch nicht zu lange dieselbe Übung machen wegen ihrer Zerrung, deshalb habe ich viele abwechslungsreiche Lektionen trainiert, sodass am Ende eine Dressuraufgabe geritten werden konnte. Pamina ist absolut kein Dressurpferd, aber die Basis muss sie trotzdem haben. Sie muss noch besser werden in den Gängen und etwas aufmerksamer bzw. ausdrucksstarker laufen. Momentan spult sie einfach die Lektionen ab, aber ohne Pep. Sie würde einem also nicht besonders positiv auffallen im Viereck. Pamina macht zwar alles ordentlich und richtig, aber das gewisse Etwas fehlt ihr. Gewiss hat sie dafür noch jahrelang Zeit, sie ist ja erst sechs Jahre alt. Trotzdem kann man schon jetzt daran arbeiten, das Beste aus dem Pferd herauszuholen. Mit ihr reite ich sonst gerne in der Halle, da dort eine komplette lange und eine kurze Seite verspiegelt sind. Dann sieht man die Fortschritte direkt.
Unser kleines Pony Piranha musste heute wieder an der Longe schwitzen, da meine Cousine Marita Reitstunde hatte. Piranha verliert einfach kein Fell, deswegen musste ich ihn ein bisschen scheren, sonst würde er noch mehr schwitzen. Ich war heute auch mit ihm sehr zufrieden, da er gut mitgearbeitet hat und sehr brav war an der Longe. Ansonsten braucht er manchmal mehrere Extraeinladungen, bevor er sich zu einer schnelleren Gangart überreden lässt. Die Wechsel in eine langsamere Gangart führt er jedoch ganz von alleine auf, wenn man nicht aufpasst. Er hat es faustdick hinter den Ohren…
Obwohl nun alle meine Pferde bewegt worden waren, war der Tag noch längst nicht zu Ende. Pünktlich um halb vier Uhr kamen noch zwei Reiterinnen aus dem Nachbarort mit ihren Pferden, die bei mir zum Beritt angemeldet waren. Beides sind Dressurpferde, das eine ist zwölf Jahre alt und geht bis Klasse M/A, das andere ist zehn Jahre alt und geht bis Klasse L. Die beiden waren schon ein paar Mal da, in den letzten drei Wochen allerdings nicht so weit ich mich erinnern mag. Während ich das erste Pferd namens Sundance ritt, wärmte die Besitzerin unterdessen das zweite auf. Sundance ist ein sehr tolles und grossrahmiges Pferd, welches ich gerne reite. Es ist ein bisschen wie Hyazinth. Eine gute halbe Stunde habe ich Sundance geritten und mal wieder richtig durchgearbeitet. Die Besitzerin ist zwar eine exzellente Reiterin, aber da sie berufstätig ist, kann sie oft nicht reiten. Dann bewegt eine Reitbeteiligung das Pferd, die aber meiner Meinung nach nicht sehr gut reitet, da das Pferd alle Nischen kennt, um den Hilfen auszuweichen. Das muss nun wieder ein bisschen korrigiert werden. Sundance ist aber sehr gut unter dem Sattel und merkt sofort, wen er veräppeln kann und wen nicht.
Nach Sundance kam noch Bella Donna an die Reihe, das zweite Pferd. Bella Donna ist wesentlich schwieriger zu reiten, die sie sich immerzu auf das Gebiss legt. Sie war total hart und versteift bei allen Hilfen und es dauerte eine ganze Weile, bis ich das Pferd knacken konnte. Es hat dann überhaupt keinen Sinn, mit Krafteinwirkung die Blockade lösen zu wollen. Vielmehr muss man eine Ebene finden, auf der man das Pferd sozusagen erreicht und seine Sturheit durchbrechen kann. Die Besitzerin hat eine sehr starke Hand, wodurch sich Bella dagegen wehrt. Das macht sie dann automatisch bei allen anderen Reitern, das ist fast wie eine Volkskrankheit bei Pferden. Viele Reiter wirken fast nur mit der Hand ein und lassen die anderen Hilfen vollkommen außen vor. Daran muss Bella Donnas Besitzerin ganz fest arbeiten… Am Ende lief das Pferd zwar ganz ordentlich, aber es ist ja nicht Sinn der Sache, dass man jedesmal eine Dreiviertelstunde braucht, bis ein Pferd reitbar wird.
Unterdessen fütterte mein Vater noch alle Vierbeiner und ich genieße nun meinen Feierabend.

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